Richtsprüche zum Richtfest

 

Richtsprüche und Rituale beim Richtfest: Tradition, Lyrik und feierliche Worte

Kran mit Richtkranz für RichtfestDas Richtfest, auch bekannt als Bauheben, Hebefest, Firstbier oder in österreichischen Gefilden als Gleichenfeier, ist ein uraltes Handwerksritual, das den Abschluss der Rohbauarbeiten an einem neuen Haus feiert. Im Zentrum dieser Feier steht die feierliche Ansprache durch den Zimmermann oder das Bauherrenehepaar, begleitet von Richtsprüchen, Festreden und Gedichten, die Glück, Segen und Zusammenhalt beschwören. Diese Samm­lung von Richtsprüchen gibt einen umfassenden Einblick in die lyrische Vielfalt und symbolische Bedeutung, die das Richtfest bis heute prägen.


1. Ursprung und Brauchtum des Richtfestes

Bereits im Mittelalter ehrten Zimmerleute und Bauherren die Fertigstellung der Dachkonstruktion mit einem Festmahl auf dem Dachstuhl. Die Aufstellung eines geschmückten Kranzes, oft mit bunten Bändern, war ein sichtbares Zeichen dafür, dass der Rohbau vollendet und das Gebäude wetterfest war. Durch das Richtsingen – das gemeinsame Singen von Richtsprüchen und Wanderliedern – dankte man für den reibungslosen Baufortschritt und bat um Segen für das zukünftige Wohnen.

Quelle zur Geschichte des Richtfestes:

In Österreich kennt man ähnliche Feiern als Gleichenfeier oder Firstfeier, in der Schweiz als Aufrichte, und im niederdeutschen Raum als Fensterbeer. Diese regionalen Bezeichnungen zeugen von der lebendigen und vielfältigen Tradition, die sich über ganz Mitteleuropa erstreckt.


2. Die klassischen Richtsprüche: Poesie auf dem Dachfirst

2.1 Lob und Dank an die Handwerker

„Stolz und froh ist jeder heute,
der tüchtig mit am Werk gebaut.
Es waren wackre Handwerksleute,
die fest auf ihre Kunst vertraut.“

Dieser Eröffnungsspruch würdigt das geschickte Können der Zimmerei, Maurer und aller Fachleute. Er stellt Handwerkskunst und Teamgeist in den Mittelpunkt und schafft eine festliche Atmosphäre, in der der Bauherr seine Anerkennung ausdrückt.

2.2 Traditioneller Segenswunsch

„Schützt auch das Dach vor Regen, die Mauer vor dem Wind,
so ist doch allerwegen, an Gott allein gelegen, ob wir geborgen sind.“

Die Erinnerung an die transzendente Macht hinter jeder menschlichen Anstrengung gehört zu den festen Elementen vieler Richtsprüche. Der Bauboom soll nicht nur technisch gelingen, sondern auch geistig und spirituell gesegnet sein.

2.3 Bittgebet um Bewahrung

„Wir bitten Gott, der in Gefahren uns allezeit so treu bewahrt,
er möge das Bauwerk hier bewahren vor Not und Schaden aller Art.“

Dieses Gebet zum Richtfest verbindet das Gemeinschaftsgefühl mit einer demütigen Bitte um Schutz – ein Ausdruck mittelalterlicher Tradition, die bis heute in vielen Gemeinden fortlebt.

2.4 Gemeinschaft und Zusammenhalt

„Ein solches Werk kann nur geschehen, wenn jeder brav an seiner Stelle
und alle fest zusammenstehen, der Meister, Lehrling und Geselle.“

Der Hinweis auf die soziale Organisation des Handwerks würdigt das Gefüge von Lehrling, Geselle und Meister. Es erinnert daran, dass jeder im Bauprozess eine wichtige Rolle spielt – ein Gedanke, der auch auf moderne Bauprojekte übertragbar ist.


3. Weitere beliebte Sprüche und Zitate

3.1 Maurer und Zimmerer im ZusammenspielSprüche zum Richtfest

„Der Maurer hat’s gemauert, der Zimmerer überdacht;
doch dass es hält und dauert, das steht in Gottes Macht.“

In wenigen Versen wird hier die Aufgabenteilung klar und doch die höhere Verantwortung angesprochen: Ohne menschliches Geschick und göttlichen Beistand ist kein Bauwerk wirklich sicher.

3.2 Glückwunsch und Weitblick

„Wir wollen gratulieren, gerichtet ist das Haus,
hat Fenster und hat Türen, und sieht gar stattlich aus.“

Dieser fröhliche Spruch ist ideal für den Abschluss der Feier, wenn alle das fertige Gebälk betrachten und sich am Anblick des neuen Heims erfreuen.

3.3 Humorvolle Note

„Ob Kirche oder Puff, das Dach ist druff!“

Mit dieser kleinen Gaunerei bringen die Richtsprüche auch humorvolle Leichtigkeit in das feierliche Ritual. Sie zeigen, wie flexibel und lebensnah die Tradition sein kann.


4. Der Ablauf eines Richtfestes

4.1 Vorbereitung

  • Aufstellung des Richtkranzes: Ein aus Tannengrün und bunten Bändern geflochtener Kranz ziert den Dachfirst.
  • Einladung: Bauherr, Handwerker, Nachbarn und Freunde werden eingeladen.
  • Redekonzept: Oft hat der Zimmerermeister einen traditionellen Spruch vorbereitet.

4.2 Feier auf dem Dachstuhl

  • Ansprache und Richtsprüche: Der Zimmermann, oft begleitet vom Polier, dankt allen Beteiligten.
  • Richtbecher: Ein feierlicher Trinkspruch mit einem festlich geschmückten Becher.
  • Baumstrunk oder Breznwurf: Bei manchen Ritualen wird Brot geworfen oder ein Strunk als Glücksbringer über Klassen gebracht.

4.3 Ausklang im Festsaal

  • Festessen: In einer angemieteten Halle oder im Rohbau eingedeckten Zelt folgt ein gemeinsames Mahl.
  • Musik und Tanz: Blasmusik oder Volksmusikgruppen sorgen für Stimmung.
  • Gaben und Geschenke: Nachbarn bringen Wein, Brot oder Glückwunschkarten mit.

5. Zitate großer Denker

Neben den klassischen Richtsprüchen werden bei vielen Richtsitzungen Zitat­blöcke eingebaut, die berühmte Persönlichkeiten zu Wort kommen lassen:

„Prächtig habt ihr gebaut. Du lieber Himmel!
Wie treibt man, nun er so königlich er wohnet, den Irrtum heraus?“

Johann Wolfgang von Goethe, Faust

Goethes Vers erinnert daran, dass Bau und Architektur Ausdruck von Vernunft und Kunst sind. Sie heben die Feier auf eine literarische Ebene und verknüpfen die handwerkliche Tradition mit geistiger Kultur.


6. Regionale Besonderheiten

  • Österreich: Als Gleichenfeier oder Firstfeier wird vielfach ein Baumstamm aufgerichtet, der mit bunten Bändern verziert ist.
  • Schweiz: Die Aufrichte kann zwei Richtbalken kreuzen – ein Symbol für den Zusammenhalt der Dachdeckerzunft.
  • Norddeutschland: Die Fensterbeer oder Lüttenmenter kombiniert Ritual und Festschmaus mit lokalen Dialektvarianten der Richtsprüche.

7. Moderne Interpretationen und Fortführung

In Zeiten digitaler Vernetzung werden Richtsprüche immer häufiger auch auf Bau­blogs und Social-Media-Kanälen geteilt. Instagram-Stories zeigen live den Moment, wenn der Richtkranz aufgezogen wird; YouTube-Videos dokumentieren den Spruchwechsel zwischen Zimmermann und Bauherr. Gleichzeitig halten Bauingenieur-Verbände Online-Workshops zur Sicherung der Dachstuhl-Sicherheit, sodass Tradition und Technik Hand in Hand gehen.

Weiterführende Information:


8. Ein (Richt-)Fest für alle Sinne

Das Richtfest ist weit mehr als ein handwerklicher Meilenstein. Es ist Ausdruck von Dankbarkeit, Gemeinschaft und Zukunftshoffnung. Die Richtsprüche verleihen diesem Moment eine poetische Tiefe, die vom handwerklichen Stolz ebenso erzählt wie von der Bitte um göttlichen Schutz. Sie verbinden Generationen, überbrücken Sprachen und Regionen und zeigen: Ein Haus entsteht nicht allein durch Ziegel oder Holz – es lebt durch die Menschen, die es feiern.

Möge jeder Spruch, der auf einem Richtfest erklingt, zu einem bleibenden Segen für Bauherren, Handwerker und künftige Bewohner werden!

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